Die in den letzten 25 Jahren von Beatriz A.E. PADOVAN entwickelte Behandlungsmethode
der Neurofunktionellen Reorganisation ist gegenwärtig in deutschen
sprachheilpädagogischen Praxen noch relativ selten anzutreffen. Dennoch
wächst das Interesse und auch der Zuspruch stetig, stößt
jedoch gleichermaßen auf skeptischen Widerstand (vor allem seitensder
Theoretiker) und findet beispielsweise auch an der Universität zu
Köln keine nähere Beachtung.
Noch immer haftet der Padovan-Methode ein exotischer bzw. unkonventioneller
Charakter an, weil sie sich von den meisten traditionellen Therapieansätzen
und Vorgehensweisen innerhalb der Sprachheilpädagogik gravierend
unterscheidet. Dies ist nicht zuletzt Folge einer etwas anderen Sichtweise
von Sprach- und Sprechstörungen und ihren Bedingungshintergründen.
Zum einen liegt die zentrale Gewichtung der Methode auf motorischen Übungen, die in Relation zu natürlichen Bewegungsabläufen stehen, welche unterschiedliche Stufen der Phylo- und Ontogenese rekapitulieren und somit ihren Beitrag zur Neurologischen Reorganisation leisten. MyofunktionelleÜbungen stellen den anderen, ergänzenden Bestandteil der Methode dar. Sie unterscheiden sich durch einige Neuerungen von bisher schon bestehenden myofunktionellen Therapiekonzepten, um eine Reorganisation der vegetativ-reflexenFunktionen (Atmen, Saugen, Kauen, Schlucken) zu gewährleisten.
Ich kam mit der Padovan-Methode während meines Diplompraktikums
in der Praxis für Sprach-, Sprech- und Stimmstörungen von
Regina Franzke in Niederkassel-Lülsdorf in Berührung
und konnte mich dort vor Ort eingehend mit dieser Therapieform auseinandersetzen,wobei
neben der zugrundeliegenden therapeutischen Anschauung und Umsetzung von
Ganzheitlichkeit vor allem das Kriterium der Effizienz und die besondere
Akzeptanz und Motivation seitens der Patienten und deren Umfeld positiv
überzeugten. Darüber hinaus ließen sich grundlegende und
vor allem langfristige Fortschritte in sämtlichen Entwicklungsbereichen
beobachten (vor allem Motorik, Sensorik, Wahrnehmung, Verhalten und Sprache),
die sich größtenteils oftmals schon nach ungewohnt kurzer Zeit
manifestierten.
Mittlerweile bin ich nun selbst in o.g. Praxis als Sprachheilpädagogin
tätig.
PADOVAN ist in erster Linie Praktikerin. Sie vermittelt ihre Methode
ausschließlich in Kursform, weshalb sie bisher nur einige wenig detaillierte
Artikel veröffentlicht hat.
Im April 1999 hatte ich während eines solchen Fortbildungskurses
die Gelegenheit, ihre Methode genauer und sie persönlich kennenzulernen.
Das Ziel meiner Diplomarbeit besteht darin, über PADOVANs
Methode der Neurofunktionellen Reorganisation eingehend zu informierenund
diese unter der Fragestellung zu diskutieren, welche Bedeutung sie innerhalb
der Sprachheilpädagogik einnehmen und inwiefern sie sprachheilpädagogische
Theorie und Praxis bereichern kann.
Aufgrund der quantitativ und teilweise auch qualitativ unzureichenden
Primär- und Sekundärliteraturlage entstand außerdem der
Ansporn, eine erste zusammenhängende Arbeit zu schreiben, welche sowohl
die theoretischen Grundlagen als auch die praktisch bewährte Methode
umfassend aber gleichzeitig kompakt, vereint.
Diese Theorie und Praxis verknüpfende Diplomarbeit soll einerseits
Interesse für die Arbeit von Beatriz A.E. PADOVAN und ihre Behandlungsmethode
wecken, sowie andererseits zu einer kritischen Auseinandersetzung und wünschenswerterweise
sogar zur praktischen Anwendung anregen.
Bezüglich der Literaturauswahl orientiere ich mich neben der deutschsprachigen Primärliteratur zunächst grundlegend an Autoren, die PADOVAN als Wegbereiter ihrer Methode nennt.
Hierzu zählen vorrangig der Begründer der Anthroposophie und
der Waldorfpädagogik Rudolf STEINER, sowie dessen Anhänger und
Urheber der Camphill-Bewegung, der anthroposophische Arzt Karl KÖNIG,
des weiteren Carl H. DELACATO, der als ein Schüler des Neurochirurgen
M.D. TEMPLE FAY Wirk- und mögliche Störungszusammenhänge
zwischen der sogenannten Neurologischen Organisation und der Entwicklung
typisch menschlicher Fähigkeiten (unter anderem Sprache) erforschte,
und der Neurologe Nelson ANNUNCIATO, welcher im Forschungsbereich der Neuroanatomie
und besonders bezüglich plastischer Prozesse des Nervensystems aktiv
ist und bis vor kurzem noch im Rahmen der PADOVAN-Kurse über diese
Themen dozierte.
Deren Schriften ergänze ich durch mehrere andere, vor allem aktuelle
Werke, um einerseits die noch bestehende Gültigkeit der teilweiseaus
den dreißiger bis sechziger Jahren stammenden Basisliteratur zu untermauern
oder gegebenenfalls durch neuere Erkenntnisse modifizierend zu ergänzen.
Einige Beiträge zu diesem Themenbereich konnte ich darüber hinaus
auch dem Internet entnehmen.
Des weiteren finden PADOVANs Ansichten und die Neurofunktionelle Reorganisation
Anklang und Verwendung in einigen neueren Werken bekannterer Autoren im
Bereich der Sprachheilpädagogik, so z.B. CLAUSNITZER/CLAUSNITZER (1992),FRANKE
(1993), BROICH (1992), BURHOP/DETERMANN/DIRKS/SCHMÜLLING (1998).
Die Vorgehensweise betreffend ist es sinnvoll, zunächst
ein genaues Bild von dem Tätigkeits- und Wissenschaftsfeld zu zeichnen,
innerhalb dessen ich die Padovan-Methode betrachten und diskutieren möchte:
Die Sprachheilpädagogik.
Dies geschieht im anschließenden Kapitel mit besonderer Gewichtung
auf das zugrundeliegende Menschenbild,
welches aus der von PADOVAN geforderten ganzheitlichen
Betrachtungs- und Behandlungsweise resultiert.
Im dritten Kapitel stelle ich die Begründerin der Neurofunktionellen
Reorganisation und ihre Motivation, diese Methode zu kreieren, vor.
Für das Verständnis und den Nachvollzug der Methode ist es
meiner Ansicht nach unerläßlich, sich mit den von PADOVAN verwendeten
Grundlagen auseinanderzusetzen. Dementsprechend erläutere ich im vierten
Kapitel die sogenannten vier Säulen
der Padovan-Methode, größtenteils anhand der von PADOVAN
zitierten Autoren.
Das fünfte Kapitel widmet sich darauf aufbauend einer umfassenden
Darstellung
der Padovan-Methode und der jeweiligen Übungskomplexe, sowohl
theoretisch als auch für und aus der Praxis heraus beschrieben. Eine
Sonderstellung wird in diesem Zusammenhang der Schluckfehlfunktion zuteil,
auf die PADOVAN im besonderen eingeht.
Die Internet-Version enthält keine Übungsbeschreibungen!
Es schließt sich die Konzeptdiskussion an, welche sich kritisch
mit den zuvor beschriebenen Grundlagen und der Methode der Neurofunktionellen
Reorganisation nach PADOVAN unter der Ausgangsfragestellung nach der sprachheilpädagogischen
Relevanz auseinandersetzt. Darüber hinaus wird ein kurzer Ausblick
über Ergänzungsmöglichkeiten durch andere Therapiekonzepte
gegeben (beispielsweise Mototherapie bei Sensorischen Integrationsstörungen).
Auf die Darstellung des in der Diplomarbeit behandelten "Falles"
verzichte ich im Internet.
Die Arbeit wird durch ein abschließendes Fazit
abgerundet (achtes Kapitel).
Die Erläuterung von eventuell erklärungsbedürftigen Begriffen
geschieht jeweils direkt im Anschluß oder sofern es einer längeren
Anmerkung bedarf, als Fußnote.
Ebenso verhält es sich mit kritischen Anmerkungen oder Ergänzungen,
welche jedoch meist noch einmal im sechsten Kapitel im Rahmen der Konzeptdiskussion
ausführlicher behandelt werden.
Sofern Tabellen und Abbildungen nicht durch Quellenangaben in Fußnotenform (bzw. in der Onlineversion innerhalb der Abbildung) kenntlich gemacht sind, stammen sie von der Verfasserin dieser Arbeit.
Ich verwende in meiner Diplomarbeit die Begriffe die Therapeutin,
die Behandlerin etc. aber beispielsweise der Patient entsprechend
ihrer realen prozentualen Häufigkeit, schließe aber selbstverständlich
die jeweiligen Vertreter und Vertreterinnen des anderen Geschlechtes mit
ein.
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